93 Jahre HB9OI – Ein Rückblick

Mitte März 2022 feierte ich meinen 93. Geburtstag. Es sind rund 34‘000 Tage voller Erinnerungen. Einige davon werden nachstehend beschrieben.

Schulzeit
Ich wuchs in Nebikon auf, einem Dorf auf dem Land, das damals gerade 700 Einwohner hatte. Es war die Zeit während des 2. Weltkrieges und der Jahre danach. Viel war nicht los. Von heute rückblickend gesehen, war es eine primitive Zeit. Es gab kein Fernsehen, keine PC’s, kein Internet, kein GPS,…… Unterhaltung brachte nur gerade Radio Beromünster. Noch waren der Lehrer, der Pfarrer und der Gemeindeammann Respektspersonen. Der Shareholdervalue war unbekannt. Aber wir waren alle zufrieden !
Im Estrich fand ich Radiomaterial von meinem Onkel. Damit bastelte ich einen Detektorempfänger. Da ich nur gerade 15 km Luftlinie vom Sender Beromünster wohnte, hatte ich immer guten Empfang.
In einem Ferienlager hatte ein Kamerad einen Cosmos-Radiobausatz. Wir fügten einen Rückkopplungsempfänger zusammen. Mit zuviel Rückkopplung brachten wir ihn zum Schwingen. Aus dem Hausradio pfiff es. Das war mein erster Sender. Ich war mit dem HF-Bazillus infiziert.

Empfangsamateur
1948 fing ich mein Studium an der ETH an. Im Lesesaal lag ‘QST‘ auf. Diese Hefte studierte ich immer intensiv. In dieser Zeit bekam ich das Empfangsrufzeichen HE9ROI. Ich machte mit in der OG Zürich. Aus Amerikanischem Surplus kaufte ich in Deutschland einen Hallicrafters SX-28 (15 Röhren, 34 kg). So war ich empfangs-mässig QRV.
Frank, HB9NL, war geografisch mein nächster Amateur. Dort lernte ich die Grund-begriffe der HF. Seinen Sender hatte er auf dem Riemenboden festgeschraubt. HF strahlt immer! Wenn Frank abends morste, so flackerte die Zimmerbeleuchtung im gleichen Rhythmus mit. Mit ihm und weiteren Luzerner OMs half ich mit 1951 die OG Luzern zu gründen. Heute bin ich noch das letzte lebende Gründungsmitglied.
Mein Vater hatte damals einen 1933 Mercedes mit einem 1-Achs-Anhänger. Viele Male transportierte ich Ernst Siegrist, HB1IV, mit Helfern und viel Material zu VHF-Wettbewerben auf diverse Höger im Luzernischen. Verschiedene Erstverbindungen kamen damals zustande.

Die frühen Jahre

1954, nach Abschluss meines Studiums, hatte ich in Sion meine erste Arbeitsstelle. Dort erhielt ich das Rufzeichen HB9OI. Später fand ich heraus, dass ich deswegen fichiert wurde: „Interessiert sich für das Amateur-Sendewesen“. Neun Jahre nach dem Kriegsende war die Angst vor der „Roten Kapelle“ (Russischer Agentensender) noch in allen Köpfen.

Damals baute fast jeder seinen Sender selbst. Den Netztrafo wickelte ich noch eigenhändig. Den Sender schraubte ich auf ein Holzbrett, so wie gesehen bei HB9CU und HB9NL. Die PA war mit 2 Wehrmachtsröhren LS-50 push-pull aufgebaut. Die Bandumschaltung geschah mit Steckspulen. Einmal, als ich eilig einen Bandwechsel ausführte, sah ich bei den Steckkontakten kleine grüne Flämmchen. Ich hatte vergessen die Hochspannung abzustellen und hatte so 800 Volt in der Hand. Später produzierte ich noch einen Kurzschluss über das Mikrofonkabel mit 1‘100 Volt.
Das genügte. Ich kaufte mir einen Geloso-Senderbausatz. Er hatte weniger Leistung, als mein Eigenbau, aber einen weit höheren Wirkungsgrad. Alles war berührungssicher. So überlebte ich weitere 77 Jahre.
1955 war ich Bauführer in Grindelwald. Ein Handlanger hatte damals 2.80 Fr. Stundenlohn.
Mein Rufzeichen war HB1OI. Ich funkte aus der Baubaracke. Hörbar war ich im ganzen Quartier, was meinen Bekanntheitsgrad stark erhöhte. Eine meiner wenigen dx-Verbindungen war mit Ernest Luginbühl, W2YFB, einem Grindelwaldner in New Jersey.
1956 wollte ich in den USA Berufserfahrung holen. Für das Immigrations-Visum musste ich bei der US-Botschaft vortraben und schwören „weder die Prostitution zu unterstützen, noch die Amerikanische Regierung zu stürzen“. Ich habe mich daran gehalten.

In New York machte ich im „Tuboro Radio Club“ mit. Ausländer durften damals in den USA nicht funken. Erstes Traktandum war immer „wer holt das Bier ?“. Unser Klubleben war eher geselliger Art.

Zur Erinnerung: Damals galt 1 $ = 4.60 SFr. Mein Lohn bei meiner ersten Anstellung war $100/Woche, bei der zweiten, einen Monat später, $525/Monat. Damit liess sich gut leben.Eine Tasse Kaffee beim Essen kostete damals 10 Cents, gratis wurde die Tasse nachgefüllt. „fill her up“ bei der Tankstelle kostete $4.70.
1957 packte ich meine Habseligkeiten ins Auto und fuhr alleine, immer weiter nach Westen. „Go West young man, go West !“ Ich übernachtete in einem Motel in Ohio, als der Sputnik gestartet wurde. Nach drei Wochen kam ich in Südkalifornien an.
Ich wohnte in North Long Beach und arbeitete bei einer der grössten Bauunternehmungen im Westen. Vieles war neu für mich. Alle Arbeiten wurden pauschal offeriert. Rabatt-/Abgebotsverhandlungen gab es nicht. Einmal waren wir 1 %o zu teuer. Keine Diskussion. Der Günstigste erhielt den Auftrag. Mehr verdienen konnte man nur, wenn weniger ausgegeben wurde. Dies erforderte eine rigorose Kostenkontrolle. Es war eine interessante und schöne Zeit. In den Memoiren würde sie in ganzes Kapitel füllen.
Schlimm war nur der Smog. Ab Mittag wurde mit Abblendlicht gefahren. Jedes Wochenende zog es mich in die Wüste, wo die Luft rein und klar war. Bei Heimweh fuhr ich an die Abschrankung der Douglas Aircraft. Von hier aus war das Seitensteuer einer DC-8, mit dem aufgemalten Schweizerkreuz, sichtbar. Dies war ein Stück Heimat.
Am 1. August 1958 war ich an der Bundesfeier im Schweizer Club. Da gefiel mir eine Zürcherin besonders gut. Wir sind jetzt 63 Jahre verheiratet. Sohn Martin, ist HB9TAQ, leider nicht aktiv.

Die aktiven Jahre
1960 kamen wir in die Schweiz zurück. Als Bauleiter war ich in Burgdorf, Melide, Zürich und Bern tätig. Grössere Baustellen waren der Melide-Viadukt der N2, der Ulmberg-Tunnel in Zürich, zwischen Enge und Wiedikon und der 930 m lange Weyermannshaus-Viadukt der N1 in Bern.

Ich machte ich bei den Sektionen Bern, Ticino und Zürich mit. Die etlichen Ortswechsel behinderten den Bau einer fixen Station. So verlegte ich meine Station ins Auto.
Die erste Installation war ein „Heathkit HW-100“ (Kit-Preis damals $360.00), festgeschraubt unter dem Armaturenbrett. Ein 10 mm2 Kabel führte von der Autobatterie in den Kofferraum, wo aus einem heulenden Umformer -150 V, +300 V und +800 Volt in weiteren Kabeln zum HW-100 führten. Die HF wurde in einem Coax zur Antenne, einer Fischrute, hinten geführt. Alle Kabel waren säuberlich “unter Putz“.

Die zweite, verbesserte Installation war ein „Atlas 210“ mit einer Hustler-Antenne. Auf dem Antennenstab waren gleichzeitig Spulen für 40, 20 und 15 m aufgeschraubt. So war ich in den Alpentälern auf 40 m, in den Voralpen auf 20 m und im Mittelland auf 15 m aktiv. Mein Auto mit der grossen Antenne war stadtbekannt. Kontakt hatte ich mit 86 Ländern und allen Kontinenten.
Viele Autos waren damals noch nicht entstört. Fiats hörte ich 100 m weit.
Interessante SSB-Verbindungen aus dem fahrenden Auto waren z.B.
– VK auf 40 m, Abessinien, Ghana
– Öfters mobil zu mobil Bern Stadt mit London City.
– Wöchentliche Teilnahme am Schweizer QSO mit dem Swissair Manager in New York. Ich war etwa 2 S-Stufen schwächer, als die Fixstationen mit Beams.
JY1, König Hussein. Am Abend erwähnte ich, dass ich mit König Hussein gesprochen habe. Meine damals 5-jährige Tochter war sehr beeindruckt „Papa hat mit einem König gesprochen“. Einige Wochen später war Hussein am Fernsehen. Ich machte die Tochter darauf aufmerksam. Sie war enttäuscht. „Das ist kein König, er trägt ja nicht einmal eine Krone“.

In dieser Zeit regte ich mich über Fr. 24.00 Lizenzgebühr und Fr. 96.00 Bearbeitungsgebühr auf. Ich schrieb eine Notiz in den Old Man und rechnete vor: 4500 Amateure x 96.00 = rund 430‘000.00. Mit diesem Betrag bezahlen wir 2 Beamte. Bekommen habe ich 2 vervielfältigte Seiten. Nachdem das BAKOM keine jährliche Abrechnung vorlegt, wo ausgewiesen wird, was sie für uns leisten, bin ich noch heute der Meinung, wir bezahlen zu viel. Viel habe ich nicht bewirkt.

Old Timer
Mein Sohn Martin, HB9TAQ, arbeitete 12 Jahre in San Antonio, TX. Bei Besuchen drüben bestand ich die US-Prüfungen: General, Advanced, Extra. Seit 2001 habe ich das Rufzeichen AD5DK. Für die Extra meldete ich mich 2001 per Internet bei Leslie, NI5S, an und wurde ersucht, mich um 20:00 an seiner Privatadresse einzufinden. Ich erschien. Der VE (voluntary examiner) telefonierte zwei Kollegen, er hätte da jemand für den Test. Bis die eintrafen wurde der notwendige Papierkram erledigt. Um 20:30 konnte die Prüfung stattfinden. Ich konnte aus mehreren Fragebogen einen auswählen. Dann durfte ich in der Küche auf dem Küchentisch die Fragen beantworten. Während dieser Zeit schwatzten die drei und meine XYL, die mich begleitete, im Wohnraum miteinander. Da ich mich gut vorbereitet hatte, war ich rasch fertig und bekam die Bestätigung.

VE
Leslie meinte noch, ob ich nicht als VE Interesse hätte. So fing es bei mir an. Ich ersuchte die ARRL um Akkreditierung. Im damaligen Old Man gab ich ein kleines Inserat „US-Lizenz-Prüfungen“ auf, was etliches böses Blut verursachte. Der damalige USKA-Präsident schaltete sich persönlich ein und im Old Man erschien eine böse Replik. Auch ein bekannter OE-Amateur meinte, er müsse mich von meinem Unterfangen abbringen. Es meldeten sich Prüfungswillige. Ich suchte zwei weitere Extras und fand Thomas Sailer, HB9JNX / AE4WA und Tom Hoedjes, HB9DOD / KL5X. (Falls ich jemand vergass, bitte um Entschuldigung) So führten wir an einem Samstag in der Aula der Schule von Reinach (Tom war dort tätig) die erste Prüfung durch. Eine weitere Prüfung, ebenfalls dort kam mit Bild im Old Man.
Ich wollte bewusst US-Prüfungen durchführen, einerseits um zu zeigen, dass diese auch von uns Amateuren durchgeführt werden können, anderseits, dass der Staat nicht immer die hohle Hand hinhalten muss.
Ich war viele Jahre Prüfungsexperte für Baumeisterprüfungen. Wir Experten stellten die Prüfungsaufgaben zusammen, gemäss Vorschrift BIGA. Wir prüften und benoteten. An der Schlusssitzung war ein Vertreter des BIGA anwesend und kontrollierte den geordneten Ablauf der Prüfung. Das BIGA stellte dann die Diplome aus.

In einer entsprechenden Weise würde ich auch einen zukünftigen Ablauf der HB9-Liz-Prüfung sehen. Wieso braucht es einen teuren Beamten um den Multiple-Choice Test durchzuführen? Das können beauftragte Hams ebenso gut und kostengünstiger. Das BAKOM kann, wie das FCC, dann die Rufzeichen zuteilen. Darüber diskutiere ich gerne.

Die späten Jahre

Gelegentlich bin ich noch mit QRP zu hören. Es interessiert mich, mit wie wenig Leistung Agentensender im letzten Weltkrieg Verbindungen tätigten. Nun liegen 72 Jahre Hamtätigkeit hinter mir.
Ich bin nun 93. Als Automobilist würde ich mich als gute Occasion bezeichnen. Etwas Rost, einige Dellen, reduzierte Geschwindigkeit und irgendwo knackst es, aber der Motor läuft noch problemlos. Ich hoffe, ich kann noch einige Jahre anhängen.

Es waren 73 schöne Jahre.
73
Hans Wüest, HB9OI / AD5DK

AD5DK[at]arrl.net
HansWuest[at]sunrise.ch